Du und Ich – Ich und Du

Kontakt zu sich selbst zu haben, ist die Voraussetzung zu fühlen, was ich brauche. Meine Bedürfnisse wahrzunehmen, zu entscheiden, was ich möchte, was nicht, mit wem ich zusammen sein möchte und wer mir evtl. nicht guttut. Bin ich mit mir nicht oder nur wenig verbunden, dann treffe ich evtl. Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen. Weil sie nicht aus dem Herzen stammen, sondern allein mit unserem Verstand getroffen wurden. Die Schwierigkeit dabei ist, dass ich es nicht merke, wie ich Entscheidungen treffe. Aus welcher Motivation heraus. Wir alle tragen Muster, sogenannte Lebensbewältigungsstrategien in uns, die aus frühen Kindertagen herrühren. Wir haben sie als „uns zugehörig“ identifiziert und glauben, dass wir so sind. Sie sind zu unserer Identität geworden. So entwickeln wir z.B. ein Helfersyndrom, opfern uns für andere auf, um anerkannt, gesehen oder vermeintlich geliebt zu werden. Weil wir all das als Kind vermisst haben.

Oder ich bin mit einem Partner zusammen, damit er das ergänzt, was ich mir nicht geben kann. Dann brauche ich diese Person und tarne es als Liebe. Oder jemand hat einen starken Willen etabliert, muss immer alles durchsetzen und sieht dabei die Alternativen nicht. Das Gefühl bleibt dabei auf der Strecke und verhindert die wirkliche Bindung zu sich selbst. Aber auch das Übernehmen von Verantwortung für alles und jeden führt dann unweigerlich an die Grenze der Erschöpfung. Die Kraft für sich selber zu sorgen, fehlt und wird eher als Egoismus gesehen und mit der so wichtigen Selbstfürsorge verwechselt. Vielleicht habe ich auch bestimmte Vorstellungen (wie, das Wort es schon sagt: ich stelle etwas vor etwas anderes und kann, das was dahinter liegt, nicht sehen)  entwickelt und erwarte nun von meinem Gegenüber, dass diese Erwartungen erfüllt werden. All das tue ich, bis ich endlich merke, dass hier etwas nicht stimmt. So kann es nicht weiter gehen. Erst dann werde ich Wege suchen, um zu verstehen, warum ich das tue, oder den Wunsch entwickeln, damit aufzuhören, um endlich auszusteigen. (Meistens wollen wir es loswerden).

Bin ich jedoch mit mir, mit meiner Essenz, auch wahres Selbst genannt, verbunden, dann bin ich im Vertrauen, kann gut mit mir selbst sein, bin also autonom. Das heißt nicht, dass ich dann mit anderen Personen keinen Kontakt habe, sondern ich kann bei mir bleiben. Jetzt bin ich in der Lage, frei entscheiden zu können, mit wem ich zusammen sein möchte, und mit was ich mich umgeben möchte. Meine Kraft kann ich für mich einsetzen und das gibt eine innere Freiheit. Im anderen Fall werde ich aus meinem Unbewussten gelenkt, ohne es zu merken.

Die Grenze zwischen „Du“ und „Ich“ wird klarer. Denn erst jetzt kann ich mein Gegenüber wirklich erkennen und schaue nicht durch den Filter meiner Lebensbewältigungsstrategie.

Um mich mit mir selbst verbinden zu können, muss ich zuerst alles aus meinem inneren Raum „rauswerfen“, was nicht wirklich zu mir gehört. Denn die Plätze in mir sind „fremdbesetzt“. Es ist zu vergleichen wie ein Raum in einer Wohnung oder in einem Haus, in dem ich mein Leben lang immer wieder Möbelstücke reingestellt habe, von all dem, was ich erlebt habe. Gehe ich dort jetzt rein, habe ich kaum Platz, mich zu bewegen oder etwas zu erkennen. Also beginne ich eine Entrümpelung und stelle die Möbel raus. Es wird schwere, große, kleine, helle und dunkle Möbelstücke geben. Am Ende des erfolgreichen Aufräumens steht nur das drin, was wirklich zu mir gehört. Das ist endlich sichtbar. Nun habe ich wieder mehr Luft, kann durchatmen und mich frei bewegen. Wie wunderbar!

Mehr aus meinem Blog:

Das Kleid meiner Mutter

Wenn wir geboren werden, sind wir auf der einen Seite unbeschrieben (so, denken wir) und vollkommen angewiesen auf unsere Bindungspersonen. Vorrangig natürlich auf unsere Mutter.

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